Dienstag, 5. Dezember 2017

Dr. Oliver Sacks - Der Strom des Bewusstseins

Wenn es einen Schriftsteller gibt, dessen Bücher ich mit besonderem Genuss lese, ach was, verschlinge, dann sind es die von Dr. Oliver Sacks, einem durch seine Bücher und seine klinischen Forschungen und Beschäftigung mit Patienten der Neurologie weltbekannten Professor der Neurologie. Seine besondere Begabung bestand darin, er verstarb 2015 mit 82 Jahren in New York, komplexe und faszinierende Krankheitsbilder anschaulich und verständlich darzustellen und dabei herauszuarbeiten, was diese Krankheiten uns über das Verständnis des menschlichen Gehirns verraten können. Und wir erfahren, wie fragil dieses Gehirn sein kann, aber auch wie mächtig und komplex.




Foto: https://vtworks.wordpress.com/2015/08/31/an-evening-with-oliver-sacks/


Einige seiner Bücher:

"Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte", Der Tag, an dem mein Bein fortging", "Der einarmige Pianist" usw. (alle bei Rowohlt erschienen).

Dieser Schriftsteller, der auch ein begeisterter Musikliebhaber war, begleitete mich seit vielen Jahren. Immer wenn ich in die USA reiste, schaute ich in Buchläden nach neuen Werken und zweimal war tatsächlich gerade ein neues Werk herausgekommen (zuletzt "Musicophilia" oder auf deutsch "Der einarmige Pianist".

Oliver Sacks beschreibt Menschen, die aufgrund Verletzungen oder anderer Beeinträchtigungen des Gehirns sich nicht mehr "normal" verhalten, sie sind sozusagen aus der Normalität gefallen, ohne eigenes Zutun. In der Beschäftigung mit diesen Patienten, deren Krankheitsbilder mit Parkinson, Demenz, Tourette-Syndrom, Autismus, Agnosie oder Gehörlosigkeit bezeichnet werden, beschreibt er vor allem die Lebensumstände der Patienten und nicht nur den rein medizinischen Aspekt.

Eines seiner Bücher, Zeit des Erwachens, wurde mit Robin Williams und Robert de Niro verfilmt.



Foto: https://twitter.com/oliversacks

Sein Humor, seine Anekdoten, seine grosse Empathie für die ihm anvertrauten Menschen und seine eigenen wissenschaftlichen Überlegungen machen diese Bücher zu einem Erlebnis, zu einer Abenteuerreise in das Reich des Gehirns und zu einer Begegnung mit einem grossen Menschenfreund.

Heute habe ich sein letztes Buch gelesen, das er kurz vor seinem Tod noch abschiessen konnte: 

"Der Strom des Bewusstseins" (Rowohlt).

Wiederum ein faszinierendes und grossartig unterhaltendes Werk, das er wohl als Resümée seiner Arbeit verstand, dem Wirken des menschlichen Gehirns, dem Bewusstsein näher zu kommen.

Dabei spricht er mit der Bezeichnung "Verfrühung" ein (wissenschaftliches) Phänomen an, dass dadurch gekennzeichnet ist, dass geniale Ideen, großartige neue Theorien und Konzepte in der Wissenschaft manchmal zu früh kommen. Zu früh, weil die Zeitgenossen, die Fachwelt noch nicht bereit sind dafür, das Neue nicht erkennen können oder wahrhaben wollen. Die Wissenschaftsgeschichte ist ja keineswegs nur eine der fair wettstreitenden Wissenschaftler, die nur Argumente austauschen, sondern sie ist auch geprägt von Rivalität, Obstruktion und Gegnerschaft.

So wurden z.B. Mendels Gesetze über Vererbung, die ihrer Zeit "himmelweit" voraus, waren, übersehen, vergessen. Die Entdeckung der Farbenblindheit, die aufgrund einer Gehirnläsion erfolgt, wurde bereits 1888 vom Schweizer Verrey diagnostiziert und ausführlich beschrieben (er lokalisierte sogar die entsprechende Gehirnregion). Aber 75 Jahre lang existierte dieses Phänomen in der Fachwelt überhaupt nicht, weil es sich nicht mit dem damaligen Verständnis deckte, dass Sehen ein Prozess ist vergleichbar dem Fotografieren mit einer Kamera. Das Gegenteil ist aber der Fall.

Archimedes Entdeckung der Integralrechnung nahm bereits die grossen mathematischen Entdeckungen von Newton und Leibniz teilweise vorweg, sie waren jedoch viele Jahrhunderte in Vergessenheit geraten, kamen also auch zu früh. Im 3. Jahrhundert vor Christus entwarf Aristarch, ein griechischer Philosoph und Mathematiker ein heliozentrisches Weltbild, das von den Zeitgenossen durchaus verstanden und akzeptiert worden war. Doch Jahrhunderte später stellte Ptolemäus mit seinem geozentrischen Weltbild dies auf den Kopf und zwar mit einer "babylonischen Kompliziertheit", bis Kopernikus dies wieder Jahrhunderte später zurecht rückte.

Darwin, so Sacks weiter, habe oft erklärt, dass niemand ein guter Beobachter sein könne, der nicht auch ein Theoretiker sei. Andererseits dürfe man aber bei seinen Forschungen auch nicht zu dogmatisch sein, sondern offen für die kleinsten Abweichungen und diesen nachspüren.

Für mich als Musikliebhaber ist "Musicophilia" mein Lieblingsbuch aus der Feder von Dr. Oliver Sacks. 




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